Die Rolle der Frau in der italienischen Eisdiele in Deutschland

Relazione storico sociale di Annalisa Carnio

Kapitel 1 – Zeitraum vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum 2. Weltkrieg

Die erste Auswanderungswelle der Eismacher aus dem Veneto in die nordeuropäischen Länder zu Beginn des letzten Jahrhunderts war eine saisonale Bewegung männlicher Arbeitskräfte. Die Männer verließen ihre Heimat im Frühjahr und kehrten im Herbst zurück; die meisten von ihnen verkauften Eis auf der Straße.
In dieser Phase kümmerten sich die Frauen, die Ehefrauen der Saisonarbeiter um Haus, Feld, Tiere und Kinder. Für die Frau bedeutete das monatelange, schwere Arbeit auf den Feldern und in den Bergen. Schließlich war der soziale Kontext, aus dem die ersten Eismacher hervorgingen, rein ländlich-bäuerlich. Und es war die typische Rolle der Frauen in der Region Venetien zu Beginn des Jahrhunderts, während ihre Männer zu Hause, als Landarbeiter für andere oder als Saisonarbeiter in der Fremde tätig waren.
Es war ein Leben, das der Familie, dem Haus, der Pflege des Hofes und der Tiere gewidmet war, sei es auf den eigenen Feldern oder als Pächter. Nur der sonntägliche Besuch der Messe, eine Hochzeit, eine Taufe oder eine Beerdigung boten den Frauen eine Ausnahme vom Alltag.
Mit der steigenden Nachfrage nach Eis in Deutschland in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen eröffneten viele Gelatieri ihr eigenes Geschäft. Tatsächlich gab es in den 1920er und 1930er Jahren einen ersten Boom bei der Eröffnung von Eisdielen und das italienische Eis wurde in Deutschland bekannt. Da die Zahl der Anträge auf Erteilung von Lizenzen und Genehmigungen für die Eröffnung einer Eisdiele zunahm, prägten die deutschen Behörden sogar ein neues offizielles Wort „Speiseeis“.
Bis dahin wurde in Deutschland der Begriff „Gefrorenes” verwendet.

In der Zeit zwischen den Kriegen begann für die Frau des Eismachers eine neue Phase. Frauen folgen ihren Ehemännern nach Deutschland, vor allem diejenigen, die bereits eine Eisdiele besitzen oder eine eröffnen möchten.
Die Eröffnung eines eigenen Geschäfts erfordert die Anwesenheit der Ehefrau, die zahlreiche Aufgaben im Geschäft und insbesondere hinter den Kulissen übernimmt. Während der Saison in Deutschland kümmert sich die Frau um den Haushalt und unterstützt ihren Mann im Geschäft. Sie ist zuständig für die Zubereitung der Mahlzeiten für das Personal, das Aufräumen und Reinigen der Eisdiele, den Verkauf in Zeiten großen Andrangs oder wenn ihr Mann mit dem Eiswagen unterwegs ist.

Kapitel 2 – Die Zeit der großen Auswanderungswelle von den 1950er bis zu den 1980er Jahren

Am Ende des Zweiten Weltkriegs und vor allem in den 1950er und 1960er Jahren, als immer mehr Gelatieri ihre Eisdielen in Deutschland eröffnen, ist es ganz normal, dass die Frauen ihren Männern folgen. In dieser großen Welle der saisonalen Auswanderung kommen zu den Familien, die seit einer oder mehreren Generationen in Deutschland sind, neue Familien hinzu, die die Tätigkeit zum ersten Mal aufnehmen, motiviert durch den Erfolg von Verwandten, Nachbarn und den Bedarf an Arbeitskräften.
Die Rolle der Frau in der Eisdiele wird zum Dreh- und Angelpunkt des Geschäfts, da der Übergang von einer einfachen Hilfstätigkeit für den Mann zu einer klar umrissenen Aufgabe, wenn auch im Schatten des Mannes, erfolgt ist.
Stufenweise vollzieht sich der Wandel zum familiengeführten Betrieb, in denen der Mann in der Öffentlichkeit der Geschäftsinhaber, die Frau aber die Unternehmerin ist, die sich ihr Wissen selbst beigebracht hat.
Auch wenn sie über keine elementare Schulausbildung verfügt, übernimmt die Frau die Organisation des Betriebs, teilt das Personal in Schichten ein, sorgt für dessen Unterkunft, die Mahlzeiten, kümmert sich um Service und selbst die Kasse.
Der Mann zieht sich mehr und mehr in sein Eislabor zurück, einem Raum, der den Männern vorbehalten ist, und widmet sich dort mit Engagement und Erfahrung der Herstellung von Speiseeis. Hier sollte daran erinnert werden, dass die Vorherrschaft der Männer bei dieser Arbeit auch durch physische Erfordernisse bedingt war, da bei der handwerklichen Herstellung die Kraft der männlichen Arme unersetzlich war (man denke nur an die Arbeit an der Schaufel, den Transport von Zuckersäcken, die Pakete voller Zutaten usw.).

Die Frau hingegen ist die Hausherrin eines großen Haushalts, der Eisdiele und sie überwacht alles. Diese Neigung, auch die Finanzen zu kontrollieren (auch wenn keinerlei ökonomische Vorbildung vorhanden war) ist noch einmal ein Beispiel für das Erbe des ländlichen Veneto, weil die Frauen hier immer für die Finanzen zuhause zuständig waren.

Trotz dieser Entwicklung von Funktionen und Zuständigkeiten innerhalb des Familienbetriebs hat die Frau keine klar definierte Funktion in der Öffentlichkeit. Es ist immer der Ehemann, der offiziell die Rolle als Unternehmer und Eismacher spielt.

Das Bitterste an dieser Situation ist die Tatsache, dass all diese Arbeit nie angemessen entlohnt wurde: wenig oder gar kein Lohn, wenige oder gar keine Beiträge für die Sozialkassen. Im Namen des Familienbetriebs, der dem Ehemann gehörte, wurde auf Kosten der Frauen gespart.

In der Eisdiele, im Haus mit den angeschlossenen Räumen für das Personal, schafft die Frau eine perfekte „Welt“ nach dem Vorbild der Familien aus dem Veneto.
Es ist ein hervorragend funktionierender und perfekter Mikrokosmos für die Führung eines Familienbetriebs, aber es ist ein künstlicher Mikrokosmos, isoliert wie eine Seifenblase vom gesellschaftlichen Kontext in Deutschland.
Die zermürbenden Arbeitszeiten, sieben Tage die Woche, viele Monate ohne Unterbrechung während der Saison, erlauben keine Ablenkung, keine Freizeit und keine Möglichkeit, soziale Kontakte außerhalb der Arbeit und der Familie zu knüpfen.
Die Frau lebt in der Welt der Eisdiele in engem Kontakt nur mit ihrem Ehemann und dem Personal. Die Kontakte zu den Familienmitgliedern in Italien sind dem Aufenthalt im Winter vorbehalten.
Das Erlernen der deutschen Sprache beschränkt sich daher auf den Wortschatz, der für den Verkauf des Eises erforderlich ist.
Die Frau, die wesentlicher Bestandteil der Eisdiele ist, opfert für den Betrieb und den Ehemann zwei für sie sehr wichtige Dinge:

sich selbst
die Kinder

Die Kinder wachsen bei den Großeltern, Onkel und Tanten, Verwandten in Italien auf und gehen in Internaten zur Schule. Gerade in diesen Jahren werden in Venetien Einrichtungen wie das Oratorio di Sant’Antonio, Collegio Dante in Vittorio Veneto, Collegio dell’Immacolata in Belluno, Internato delle Suore in Zoldo gegründet. Die Kinder sehen ihre Eltern im Winter und besuchen sie während ihrer Sommerferien.
In dieser Zeit gibt es nur wenige Frauen, die sich als Unternehmerin selbstständig machen. Wenn, dann handelt es sich um Fälle von höherer Gewalt, z. B. wenn eine Frau Witwe wird und Kinder zu versorgen und die Eisdiele zu führen hat. Dann muss der Schritt gewagt werden, die notwendigen Papiere müssen besorgt werden, um den Betrieb weiterzuführen und die Familie ernähren zu können.
Weitere seltene Beispiele finden sich in der zweiten Generation, wenn eine Tochter in die Fußstapfen ihres Vaters tritt, da keine männlichen Nachkommen vorhanden sind. Für dieses Beispiel gibt es mehrere Familien, die Mitglied von Uniteis sind und in denen die Eisdiele von Tochter zu Tochter weitergegeben wird. Die Mehrheit der Frauen in der Eisdiele leben in diesem künstlichen Mikrokosmos.
Eine weitere Entwicklung der weiblichen Isolation und des Mangels an sozialen Beziehungen außerhalb der Eisdiele in den Jahren der Hochzeit des Speiseeises in Deutschland ist durch die Eheschließungen der Kinder von Speiseeisherstellern untereinander bedingt.
Das liegt daran, dass die Kinder der Gelatieri durch die langen Monate im Internat m Winter und durch die Sommerferien in den Eisdielen der Eltern in Deutschland keine stabilen Freundschaften an einem Ort aufbauen können. Selbst in diesem familiären und betrieblichen Umfeld des Generationenwechsels ist die Eisdiele lebenswichtiger Mittelpunkt für alle Beteiligten.
Außerdem ist es die natürlichste Konsequenz, dass Ehen innerhalb desselben sozialen Kontexts geschlossen werden, der in sich isoliert ist, aber perfekt funktioniert. Es ist ein sozialer Kontext, der Schutz und Kontinuität garantiert.
Es gibt aber auch Fälle von Söhnen der Gelatieri, die deutsche Frauen heiraten. Es handelt sich um Jugendliche, die sich durch die häufigen Aufenthalte im Sommer in Deutschland für den Kontakt mit Gleichaltrigen öffnen.
Die deutschen Frauen, die einen Gelatiere oder den Sohn eines Gelatiere heiraten, sorgen für eine nicht unerhebliche kulturelle Bereicherung dieser Familie (vor allem für die Kinder).
Gleichzeitig übernehmen sie in der Familie, im Haushalt und in der Eisdielen dieselben Funktionen wie die italienischen Ehefrauen. Oft sind es starke Frauen, die sogar bereit sind, einen Dialekt zu lernen, um im Familienleben und in der Eisdiele voll integriert zu sein.

Kapitel 3 – Zeitraum von den 1980er Jahren bis etwa 2010.

In den 1980er Jahren öffnen sich dank der Mobilität, der wirtschaftlichen Sicherheit und dem daraus resultierenden Wohlstand auch die Familien der Gelatieri. Die Kinder – wir sind jetzt in der zweiten, dritten Generation – gehen in Deutschland zur Schule. Die Familie ist wieder vereint. Immer weniger Kinder bleiben im Winter in Italien, um zur Schule zu gehen.
In dieser Phase findet ein grundlegender Schritt der sozialen Integration statt. Wenn die Kinder in Deutschland zur Schule gehen, sind auch die Mütter gezwungen, sich neuen sozialen Kontakten zu öffnen und sich dem Umfeld außerhalb der Eisdiele anzupassen.
Mit der Öffnung hin zu anderen sozialen Beziehungen, mit der Entscheidung dauerhaft in Deutschland zu bleiben, wächst die Integration. Es gibt jedoch auch Fälle von Familien, die bereits in den 30er Jahren im Winter nicht nach Italien zurückkehrten.
Die andere Entwicklung dieser soziokulturellen Integration ist nach einer Generation zu beobachten, nämlich das Ausbleiben des Generationenwechsels. Die Kinder von Gelatieri, die in Deutschland zur Schule gegangen sind, entscheiden sich oft für einen anderen Beruf, da sie von den Arbeitszeiten und der fehlenden Freizeit ihrer Eltern für einen Großteil des Jahres abgeschreckt sind.
Ein Teil erkennt jedoch immer noch das Potential eines etablierten Betriebs, auch wenn der Markt immer schwieriger wird. In eine Familie von Gelatieri hineingeboren zu sein, bietet bestimmt Sicherheit, dieses Geschäft fortzuführen.
In der Tat spielt die Familie, die maßgeblich an der Entwicklung der Persönlichkeit beteiligt ist, auch eine wichtige Funktion bei der Ausbildung zum Unternehmer. Das Vorhandensein eines familiären Hintergrunds, in dem die Eltern bereits ein Unternehmen führen (in der Regel als Inhaber kleiner Betriebe), bildet ein starkes Referenzmodell. Die Person, die in diesem sozialen Kontext aufgewachsen ist, ist eher als andere geneigt, eine unternehmerische Tätigkeit als eine der Arbeitsmöglichkeiten zu betrachten und entwickelt Einstellungen und Werte, die einer unternehmerischen Tätigkeit offen und nicht ablehnend gegenüberstehen.
So wird bei der Berufswahl die unternehmerische Tätigkeit (im Familienbetrieb oder im eigenen Geschäft) immer noch in Betracht gezogen und mit anderen Arbeitsmöglichkeiten verglichen.
In diesem sozialen Kontext neueren Datums, in dem die Familie das ganze Jahr über zusammenlebt und in dem auch der Wohlstand, den jahrelange Opfer hervorgebracht haben, den Kindern der Gelatieri mehr Möglichkeiten bietet, werden auch die Töchter, Frauen Unternehmerinnen, die sich vor allem um die gesamten Belange der Eisdiele kümmern. Vielleicht heiraten sie sogar einen Gelatiere, aber ihre Rolle ist nicht mehr untergeordnet. Ein Bereich, in dem nach wie vor nicht viele Frauen tätig sind, ist die Eisherstellung selbst. Auch wenn die Frau Eigentümerin der Eisdiele ist, so kümmern sich doch männliche Angestellte oder der Ehemann um die Arbeit im Eislabor.
Nachdem ich über die Rolle der Frau in der Eisdiele gesprochen habe, möchte ich nun, wenn auch nur kurz, über die Frauen bei Uniteis e.V. sprechen. In der Tat gibt es nach mir zwei Referenten, die Ihnen darüber aus eigener Anschauung berichten können.
Beginnen wir mit den Anfängen. Unter den Gründungsmitgliedern von Uniteis (1969) sind keine Frauen. In der ersten handschriftlichen Mitgliederliste, deren genaues Datum nicht bekannt ist (wahrscheinlich Anfang der 70er Jahre), sind 37 Namen von Frauen aufgeführt.
1986, einem der Jahre, in dem Uniteis besonders stark war und eine beträchtliche Anzahl von Mitgliedern hatte, finden sich 69 Namen von Frauen (das sind gerade mal 5%).
Diese Zahlen sind nicht real, denn wir dürfen nicht vergessen, dass es auch Fälle gibt, bei denen aus steuerlichen oder anderen Gründen die Eisdiele oft auf den Namen der Ehefrau lief.
2008 betrug die Zahl der Frauen unter den Mitgliedern von Uniteis 171; fast 15 %. Sicherlich ein großer Schritt nach vorne aber noch weit entfernt von einem gleichwertigen Anteil. Die andere Seite des Himmels ist noch von Wolken bedeckt.

Uniteis, ein Verband, der schon immer zukunftsorientiert war, hat eine Frauengruppe ins Leben gerufen, die dieses Jahr 10jähriges Bestehen feiert. Auch die Frauengruppe befasste sich anfänglich mit „weiblichen” Themen, in dem Sinne, dass die öffentlichen Auftritte dieser Gruppe darin bestanden, sich um karitative Aspekte zu kümmern. Auch hier also die erweiterte Rolle der „mamma”. Von der Familie über die Eisdiele bis zum Verband.
Am Ende dieser Anmerkungen zur Frauengruppe und Uniteis möchte ich jedoch darauf hinweisen, dass Uniteis zwei Frauen in sehr prestigeträchtigen Funktionen in Deutschland beschäftigt – die Leiterin der Rechtsabteilung und die Leiterin der Pressestelle. Und dieses Vertrauen von 1200 Männern in 2 Frauen ist keine Kleinigkeit!

Diese Rede, die der Geschichte der Frau in der Eisdiele gewidmet ist, wurde von Annalisa Carnio im Rahmen der jährlichen Konferenz „L’imprenditoria femminile nel mondo del gelato” („Unternehmerinnen in der Welt des Speiseeises“), die auf der 49. Mostra del Gelato Artigianale am 02.12.2008 stattfand, gehalten.